Lebe deinen Traum... so oder so ähnlich
- tine

- 25. Sept. 2019
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 26. Sept. 2019
So heißt es doch immer. Dazu werden wir doch überall ermutigt. Wieviele Blogartikel und Online Kongresse gibt es denn schon zu diesem Thema, hunderte, tausende bestimmt. Raus aus dem Hamsterrad, tue was dich wirklich erfüllt, hab Spaß an deiner Arbeit und verwirkliche deine Träume. Auf Facebook wimmelt es von klugen Zitaten und selbst in der Werbung greifen sie das Thema schon auf. Geh deinen Weg, lass dich nicht von anderen abbringen, mach dein Ding.

Daran ist ja prinzipiell auch erstmal nichts verkehrt. Das mache ich ja auch gerade. Nur sagt einem eben keiner, dass es oft auch schwierig, anstrengend und nervenaufreibend ist, seinen Traum zu leben.
Nur weil ich tue, was ich mir lange gewünscht habe, heißt das nicht, dass ich auf Wolken wandle und meine ganze Welt aus rosa Zuckerwatte besteht.
Im Gegenteil. Ich darf und ich muss jeden Tag neu entscheiden. Ich habe gerade keine Routine. Ich bin allein. Ich kämpfe mit Einsamkeit, Traurigkeit und Zweifeln.
Klar poste ich hier jeden Tag schöne Bilder. Und natürlich erlebe ich wundervolle Dinge und sehe magische Orte. Aber was ich in den meisten Blogbeiträgen verschweige, ist, wie es mir dabei wirklich geht und wie schnell und häufig diese Gefühle schwanken können. Wie anstrengend das wirklich ist. Im einen Moment genieße ich meine Austern und lächle glücklich in die Sonne, danach laufe ich über den Strand, finde eine schöne Muschel und fange an zu heulen, weil mir Gregor so fehlt. Normalerweise ist er nämlich der Sammler von uns beiden und diesmal ist er nicht dabei.
Ich dachte, ich wüsste, worauf ich mich einlasse, wenn ich allein wegfahre. Und ich wusste es auch, irgendwie, im Unterbewussten.

Ich bin immer noch dafür, sich Träume zu verwirklichen. Sonst hätte ich jetzt keine Annie, keinen Krabat, keinen Bus, sonst würde ich jetzt nicht hier in Frankreich sitzen. Meine Träume haben mir da wirklich geholfen, gute Lebensentscheidungen zu treffen.
Nur kommt es in der heutigen Zeit mit Facebook, Instagram und Blogartikeln immer so rüber, als ob Träume leben nur aus Sonnenschein und Regenbögen besteht. Wir leben aber nicht in der Welt von Mein kleines Pony.
Es ist jetzt auch nicht notwendig, euch beim Lesen meiner Beiträge jede Heulattacke zu beschreiben. Das ist eben gerade so und vielleicht geht es ja für mich in dieser Zeit darum, meine Traurigkeit zu sehen, zu fühlen und zuzulassen, weil meiner Erfahrung nach in unserer Gesellschaft und unserem Alltagsleben viel zu wenig Platz und Zeit ist dafür. Wir funktionieren vor uns hin und verschieben die traurigen Momente auf später, schlucken die Traurigkeit runter und lächeln, als ob alles in Ordnung wäre.
Manchmal höre ich, ich wäre zu beneiden. Das tut natürlich erstmal gut, vor allem meinem Ego, ganz klar! In Wirklichkeit bin ich einfach nur verdammt privilegiert.
Ich habe das Privileg über ein Jahr nicht zu arbeiten und dabei
1) meinen Job nicht zu verlieren
2) immense Unterstützung von meiner Mum und Bernd zu bekommen
3) genügend Geld für meine Wohnung, Hund, Pferd und Leben zu haben
4) noch mehr Geld für Reisen zu haben (wobei das weniger kostet als ich dachte!)
5) selbst wenn ich kein eigenes Geld mehr hätte, im Notfall von meiner Familie finanziell unterstützt zu werden.
Und in jedem schönen Moment, den ich auf meinen Touren erlebe, bin ich so unglaublich dankbar für all diese Privilegien. Das ist unglaublich. So viel Unterstützung durch andere Menschen zu bekommen, so viel Geld zur Verfügung zu haben, in einem Teil der Welt zu leben, in dem Frieden herrscht.
Und trotzdem: Ich bin nicht zu beneiden. Du willst auch gern einen schönen Sonnenuntergang über dem Meer sehen? Dann tu es! Oder willst du nur den Sonnenuntergang sehen und dich dann wieder ins gemütliche, warme Zuhause beamen mit eigenem Klo?
Denn was man auf dem Bild vom Sonnenuntergang nicht sieht, sind die Momente der Einsamkeit, Traurigkeit, des Vermissens, die manchmal Stunden anhalten, man fühlt nicht den kalten Wind und die feuchten Klamotten am Körper, die schmerzenden Füße und riecht nicht die Camping-Toiletten. Was man nicht sieht, ist der Mut, den es braucht, um überhaupt bis zum Sonnenuntergang zu kommen und nicht rumzudrehen, weil einem das Heimweh einen Knoten in die Brust schnürt. All das gehört auch dazu. Der Weg zum schönen Sonnenuntergang ist nicht immer schön.
Und oft wollen wir eben nur den schönen Sonnenuntergang sehen, sind aber nicht bereit, dafür auch etwas zu investieren.
Deswegen: Es gibt wirklich keinen Grund, mich zu beneiden. Ich zahle meinen Preis dafür, um mir diesen Traum zu verwirklichen. Und das ist ok, das zahle ich gerne. Nee, das stimmt nicht, ich würde lieber in einer Welt aus Sonnenschein und Regenbögen leben und meine Reise ausschließlich genießen. Natürlich hätte ich es gern leichter! Ist aber halt nicht so. Und nun? Aufgeben und nach Hause fahren?
Kommt für mich auch nicht in Frage. Irgendwas in meinem Inneren treibt mich noch weiter. Da gibt es noch Sonnenuntergänge, die von mir gesehen werden wollen, Gefühle, die gefühlt werden wollen, Erfahrungen, die gemacht werden wollen und Herausforderungen, die gemeistert werden wollen.




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